Nieuws vandaag

Kiel – Eine 40-Jährige treibt tot in der Ostsee, Hals voller Griffspuren, Knöchel mit Angelhaken gefesselt. Drohbotschaften belasten den Ehemann.

Kiel – Die Frau aus der Ostsee

Der Morgen, an dem die Kustenwache den Alarm erhielt, begann mit einem ungewöhnlichen Wind. Er war kälter als sonst, bissiger, als wurde er etwas Unerzähltes mit sich tragen. Fischer hatten nahe dem Falckensteiner Ufer einen dunklen Körper treiben sehen, langsam schaukelnd im Rhythmus der grauen Ostseewellen.

Als Polizei und Sanitäter ankamen, bestätigte sich das Schlimmste: Es war eine Frau. Etwa vierzig Jahre alt. Die Haut bläulich, die Lippen violett verfärbt, als wäre jede Restwärme längst aus ihr gesogen worden. Doch das Auffälligste – und Befremdenste – waren die Spuren an ihrem Körper.

Um ihren schmalen Hals zogen sich dunkle, unregelmäßige Abdrucke, deutlich von Fingern geformt. Nicht zufällig, nicht ferngesteuert, sondern gewaltsam, zielgerichtet. An den Fußgelenken hing eine improvisierte Vorrichtung aus Angelschnur und mehreren Haken, die sich tief in die Haut gedruckt hatten. Es war, als hätte jemand versucht, die Leiche am Grund zu halten – vergeblich.

Die Identifizierung ging schnell: Marta Lorenzen, wohnhaft in Kiel-Sud, verheiratet, keine Kinder. Die ersten Aussagen des Ehemanns, Tobias Lorenzen, verwirrten die Ermittler jedoch sofort. Er berichtete, Marta habe seit Wochen seltsame, bedrohliche Nachrichten erhalten – anonym, kurz, kryptisch. Und immer mit derselben unterschwelligen Warnung.

„Du wirst nicht entkommen.“

„Die Ostsee vergisst nichts.“

„Ich sehe dich.“

Tobias sagte, Marta habe die Nachrichten zunächst ignoriert, später jedoch immer häufiger nervös auf ihr Handy geschaut, als wurde sie hinter jeder Ecke jemanden erwarten. Er behauptete, keine Ahnung zu haben, wer dahinterstecken könnte. Doch seine ruhige, fast kontrollierte Art, während er das erklärte, ließ die Ermittler wachsam werden.

Die Obduktion ergab, dass Marta noch lebte, als sie ins Wasser gelangte. Die Lungen enthielten salziges Wasser, die Hände wiesen Hautabschurfungen auf, als hätte sie verzweifelt versucht, irgendetwas zu greifen. Die Strangulationsspuren traten jedoch vor dem Ertrinken auf, was bedeutete: Sie war bereits bewusstlos, als sie ins Meer gestoßen wurde.

Die Ermittler fanden keine Hinweise auf Raub oder sexuelle Gewalt. Stattdessen deutete alles auf einen Täter hin, der Marta kannte – vielleicht sogar sehr gut. Und der wusste, wo sie sich ublicherweise aufhielt.

In ihrem Handy fanden sie schließlich die Nachrichten. Die letzten drei waren besonders unheimlich:

„Letzte Chance.“

„Er weiß es.“

„Heute Nacht.“

Sie wurden zwei Stunden vor Martas mutmaßlichem Todeszeitpunkt verschickt.

Die Spurensicherung fand wenig im Haus der Lorenzens – keine Kampfspuren, keine fremden Fingerabdrucke. Doch in Martas Schreibtischschublade lag ein abgegriffenes Notizbuch. Darin standen Hinweise auf eine Frau namens Saskia Holm. Ein Name, den Tobias angeblich nie gehört hatte.

Saskia war eine Arbeitskollegin aus Martas fruherer Firma in Lubeck, die vor vier Jahren plötzlich abgetaucht war. Der Fall war nie aufgeklärt worden. In Martas Notizbuch standen Sätze wie:

„Warum ist Saskia verschwunden?“

„Tobias lugt.“

„Er weiß, dass ich es weiß.“

Sofort ruckte Tobias ins Zentrum der Ermittlungen. Als er erneut befragt wurde, brach seine Fassade fur einen einzigen Moment – kaum sichtbar, aber spurbar. Ein Zucken im Gesicht, als er Saskias Namen hörte.

Die Ermittler suchten Tobias’ Boot, das seit Wochen unbenutzt im Hafen liegen sollte. Doch an der Rumpfinnenseite fanden sie frische Kratzspuren. Und winzige braune Flecken, die später als Blut identifiziert wurden – allerdings nicht Martas. Noch nicht zuzuordnen.

Das Puzzle begann sich zu formen.

Entgegen seiner Aussage hatten Nachbarn Tobias’ Auto in der Nacht von Martas Verschwinden nicht in der Einfahrt gesehen. Ein Angler meldete später, er habe gegen Mitternacht ein Boot ohne Licht aufs Meer hinausfahren sehen, in Richtung jener Stelle, an der die Leiche später gefunden wurde.

Der entscheidende Wendepunkt kam jedoch, als digitalforensische Experten feststellten, dass die bedrohlichen Nachrichten von einem Handy verschickt worden waren, das regelmäßig am WLAN der Lorenzens eingeloggt gewesen war.

Es gab keine unbekannten Geräte im Routerprotokoll. Das Handy gehörte jemandem im Haus.

Es gehörte Tobias.

Konfrontiert damit, brach seine emotionale Kontrolle endgultig. Erst leugnete er, dann versuchte er, es als „kranken Scherz“ darzustellen, schließlich verstummte er vollständig. Er verlangte einen Anwalt.

Die Ermittler glauben heute, dass Marta vor ihrem Tod etwas herausgefunden hatte – etwas uber Saskias Verschwinden. Vielleicht hatte sie Tobias damit konfrontiert. Vielleicht hatte sie ihm gedroht, zur Polizei zu gehen. Vielleicht hatte Tobias panisch reagiert.

Doch ohne Geständnis blieb vieles Spekulation.

Was jedoch feststeht: Marta wurde gelockt. Getäuscht. Und dann beseitigt, auf eine Art, die wirken sollte wie ein anonymes Kustenverbrechen – nicht wie ein Mord aus unmittelbarer Nähe.

Die Ostsee hatte die Wahrheit zuruckgegeben.

Und die Polizei von Kiel wurde nicht aufhören, bis jedes Detail ans Licht kam.

LEAVE A RESPONSE

Your email address will not be published. Required fields are marked *