Burgergeld vor dem Aus: Kabinett beschließt radikale Kehrtwende bei der Grundsicherung
Berlin. Die Entscheidung ist gefallen – und sie markiert einen tiefen Einschnitt in das deutsche Sozialstaatssystem. Das Bundeskabinett hat am heutigen Tag die Abschaffung des Burgergeldes beschlossen. An seine Stelle tritt kunftig eine neu benannte und deutlich verschärfte „Grundsicherung“. Mit dem Kabinettsbeschluss ist der Weg frei fur eines der umstrittensten Reformprojekte der vergangenen Jahre.
Bereits am Dienstag hatte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) den entsprechenden Gesetzentwurf unterzeichnet und damit das letzte formale Verfahren vor der Kabinettsbefassung eingeleitet. Nun steht fest: Die Bundesregierung vollzieht einen politischen Kurswechsel – weg von einem stärker vertrauensbasierten System hin zu mehr Kontrolle, Sanktionen und Verbindlichkeit.

Mehr als ein neuer Name: Ein Systemwechsel mit Signalwirkung
Die Umbenennung von Burgergeld in Grundsicherung ist nach Auffassung der Bundesregierung kein rein symbolischer Akt. Vielmehr soll sie einen grundlegenden Perspektivwechsel verdeutlichen: Leistungen des Staates sollen wieder stärker an Mitwirkungspflichten geknupft werden.
Im Zentrum der Reform stehen verschärfte Regeln fur Leistungsbeziehende. Wer Termine versäumt, Bewerbungen nicht schreibt oder Maßnahmen des Jobcenters ablehnt, muss kunftig mit deutlich härteren Konsequenzen rechnen als bislang. Das Ziel der Regierung: mehr Verbindlichkeit, schnellere Vermittlung in Arbeit und ein klares Signal gegen dauerhafte Leistungsabhängigkeit.
Deutlich härtere Sanktionen bei Pflichtverstößen
Konkret bedeutet das: Bei Verstößen gegen Mitwirkungspflichten drohen kunftig Kurzungen von bis zu 30 Prozent der monatlichen Leistung. Fur alleinstehende Leistungsbeziehende entspricht dies einem Abzug von rund 170 Euro monatlich – bislang lag die Kurzung bei maximal zehn Prozent.
Diese Sanktionen gelten jeweils fur einen Zeitraum von drei Monaten. Wiederholte Pflichtverletzungen können die finanzielle Situation Betroffener damit erheblich verschärfen. Die Regierung begrundet diesen Schritt mit dem Anspruch, „Fördern und Fordern“ wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Totalentzug der Leistungen bei mehrfacher Verweigerung
Besonders kontrovers diskutiert wurde bis zuletzt der Umgang mit sogenannten Terminverweigerern. Nach dem neuen Gesetz kann bei dreimaligem, unbegrundetem Nichterscheinen zu Jobcenter-Terminen die komplette Leistung gestrichen werden – inklusive der Mietzahlungen.
Diese Maßnahme gilt als eine der härtesten Verschärfungen der Reform. Allerdings ist sie an Bedingungen geknupft: Vor einem vollständigen Leistungsentzug muss das Jobcenter einen letzten Kontaktversuch unternehmen, etwa telefonisch oder durch einen persönlichen Besuch.
Das Bundeswirtschaftsministerium hatte hier zunächst Bedenken geäußert und vor möglichen Schlupflöchern gewarnt. Das Arbeitsministerium stellte daraufhin klar, dass eine persönliche Anhörung rechtlich vorgesehen ist – bleibt diese erfolglos, kann die Leistung dennoch vollständig eingestellt werden.
Arbeitsverweigerung: Neue Bewertung schon beim Bewerbungsgespräch
Auch beim Thema Arbeitsverweigerung zieht der Staat die Zugel an. Kunftig reicht es nicht mehr aus, ein konkretes Jobangebot abzulehnen, um sanktioniert zu werden. Bereits nachweislich passives oder ablehnendes Verhalten in Bewerbungsgesprächen kann als Arbeitsverweigerung gewertet werden.
In solchen Fällen droht ebenfalls eine vollständige Kurzung der monatlichen Leistung – mit Ausnahme der Wohnkosten. Damit erweitert der Gesetzgeber den Ermessensspielraum der Jobcenter erheblich und verschärft zugleich die Anforderungen an Leistungsbeziehende.

Politische Sprengkraft und gesellschaftliche Folgen
Mit dem Kabinettsbeschluss beginnt nun das parlamentarische Verfahren. Schon jetzt ist absehbar, dass die Reform auf erheblichen Widerstand stoßen wird – sowohl in Teilen der Opposition als auch bei Sozialverbänden. Kritiker warnen vor wachsender Armut, sozialer Ausgrenzung und einem Klima des Misstrauens gegenuber Bedurftigen.
Befurworter hingegen sehen in der Reform einen notwendigen Schritt, um das System leistungsfähiger und gerechter zu machen. Wer Unterstutzung erhalte, musse im Gegenzug aktiv an seiner Integration in den Arbeitsmarkt mitwirken.
Fest steht: Die Abschaffung des Burgergeldes und die Einfuhrung der neuen Grundsicherung markieren einen der tiefgreifendsten Umbauten der sozialen Sicherung in Deutschland seit Jahren. Fur Millionen Betroffene bedeuten die neuen Regeln nicht nur organisatorische Änderungen, sondern einen spurbaren Einschnitt in ihren Alltag – mit weitreichenden sozialen und politischen Folgen.




